Jüdische Familien in Rodach
Verlegung der Stolpersteine
am 23. November 2022 und am 5. Dezember 2024
Vor ihren früheren Häusern am Markt Nr. 7 und in der Coburger Str. 1 erinnern heute STOLPERSTEINE an das Schicksal der beiden Familien Sachs und Strauß, die vor Hitler und den Nationalsozialisten aus ihrer Heimat Deutschland fliehen mussten.
Was sind Stolpersteine?
Stolpersteine erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus unter Adolf Hitler in der Zeit von 1933 bis 1945. Dabei kamen alleine sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Europa ums Leben.
Stolpersteine werden vor dem letzten selbstgewählten Wohnort als Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig eingelassen. Die Idee stammt vom Künstler Gunter Demnig. Seine Initiative www.stolpersteine.eu ist seit 1992 aktiv. Inzwischen finden sich 112 000 Stolpersteine in über 1.800 Kommunen in 32 Ländern. Die Stolpersteine gelten inzwischen als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.
Zum Download:
Presseartikel zu den Stolperstein-Verlegungen und ausführliche Texte von Gerd Oelsner mit zusätzlichen Informationen.
Familie Sachs
Die acht Stolpersteine vor dem Haus Markt Nr. 7 erinnern heute an die jüdische Familie Sachs.
Der 1864 in Berkach geborene jüdische Kaufmann Salomon Sachs meldet in Rodach 1893 ein Gewerbe für eine Schnittwarenhandlung an. Im selben Jahr heiratet er die in Aidhausen geborene Rosa Sara Sachs, geborene Kohn. In den folgenden Jahren werden die Kinder Ludwig, Siegmund und Marie geboren. 1902 erwirbt er das Haus am Markt Nr. 7, wo er sein „Schnitt- und Manufakturwarengeschäft“ betreibt.
Eine alte Postkarte aus dem Heimatmuseum zeigt rechts das Haus mit dem großen Firmenschild „S. Sachs“ und an der Außenwand ausgestellten Kleidungstücken.
Die Familie Sachs war in Rodach sehr angesehen und fest in die Stadtgesellschaft integriert.
Mit dem Erstarken der Nationalsozialisten und der Machtübernahme Adolf Hitlers nehmen der Judenhass und die Schikanen zu. Die ehemals geschätzten Kaufleute werden gemieden, geächtet und schließlich gequält.
Ludwig Sachs mit seiner Frau Marta wie auch sein Bruder Siegmund wandern nach Kolumbien aus. Nur die Eltern verharren noch in ihrem Heimatort Rodach. Als in der sogenannten „Reichskristallnacht“ im November 1938 in ganz Deutschland die jüdischen Synagogen zerstört und angezündet werden, kommt es auch hier zu Übergriffen. Die Familie Sachs wird tätlich angegriffen, misshandelt und verhaftet. Das Geschäft wird beschädigt und geplündert. In Deutschland dürfen Juden künftig keine Geschäfte mehr betreiben. Auch das Geschäft der Familie Sachs wird „arisiert“, also beschlagnahmt.
Anständige Rodacher verhindern, dass Salomon Sachs ins Konzentrationslager Dachau deportiert werden soll. Er wird wahrscheinlich von Arthur Müller, Wirt des früheren Traditionsgasthauses „Schmerl“ auf der Marktseite gegenüber, versteckt. Später kann Salomon Sachs mit seiner Frau den Kindern nach Kolumbien folgen, wo er mit lediglich 10 Reichsmark in der Tasche ankommt. Er verstirbt dort 1941.
Die Tochter Marie ist seit 1931 mit dem Kaufmann Konrad Balmberger, der als Reisender für die Max-Roesler-Rodach-AG tätig ist, verheiratet. Mit einem deutschen Mann verheiratet, ist sie während des Nationalsozialismus auf ständiger Durchreise durch Deutschland, um einer Verhaftung zu entgehen. Die gemeinsame Tochter Luise wird in dieser Zeit von einem befreundeten evangelischen Pfarrer in Mecklenburg-Vorpommern versteckt. Nach dem 2. Weltkrieg holen Marie und ihr Mann dort ihre Tochter ab und folgen der übrigen Familie nach Kolumbien.
In Bogota, Kolumbien, ist inzwischen die gesamte Familie Sachs begraben. Maries Tochter Luise heiratet und hat zwei Kinder. Der letzte der Sachs-Nachkommen heißt jetzt La Torre.
Familie Strauß
Die beiden Stolpersteine vor dem Haus Coburger Str. 1 erinnern heute an die jüdische Familie Strauß.
Daniel Strauß wird 1894 im hessischen Storndorf geboren und kommt 1915 nach Rodach. 1922 übernimmt er das „Schnittwarengeschäft“, also ein Bekleidungsgeschäft, in der Coburger Str. 1. Im gleichen Jahr heiratet er in Schmalkalden seine Frau Gertrud, geborene Rosenthal, die 1892 im thüringischen Rudolstadt zur Welt kommt.
Das Geschäft in der Coburger Str. 1 wurde vorher vom jüdischen Kaufmann Hermann Schloss aus Gleicherwiesen betrieben, der schon 1887 in einem amtlichen Verzeichnis erwähnt wird. Nachdem er beide Söhne durch den Ersten Weltkrieg verliert, verkauft er 1922 das Manufakturwarengeschäft an Daniel Strauß und zieht in die Mohrenstr. 10 nach Coburg.
Nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler und die Nationalsozialisten nehmen die Verfolgung politisch Andersdenkender und der jüdischen Familien zu. Der „Rodacher Anzeiger“ berichtet am 24.März.1933: “Rodach, 23. März. In Schutzhaft genommen wurde gestern erneut Edwin Endert und heute vormittag der Manufakturwarenhändler Herr Daniel Strauß.“
Der Begriff „Schutzhaft“ beschönigt schlimmste Folterungen und Misshandlungen, für die in Coburg besonders die sogenannten „Prügelstube“ in der Alten Herberge in ganz Deutschland traurige Berühmtheit erlangt hat. Eine Gedenktafel erinnert in der Rosengasse an die verübten Verbrechen. Wir wissen nicht, ob Daniel Strauß dort oder in einem der drei anderen Gefängnisse festgehalten wird.
Das Erlebte prägt ihn aber so stark, dass er sein Geschäft verkauft und am 20. Juni 1933 mit seiner Frau Gertrud nach Schmalkalden verzieht. Dort - wie hier auch in Rodach - ist über ihn wenig bekannt. Lediglich im Adressbuch von 1936 findet sich für ihn als Kaufmann ein Eintrag.
Weitere Spuren von Daniel und Gertrud Strauß finden sich erst wieder durch das Zentrale Zionistische Archiv in Israel: Ihnen gelingt die Flucht aus Deutschland, sie kommen am 4. Juli 1938 auf dem Schiff „Galil“ in Haifa an, wo sie auch einen Verwandten haben.
Das Ehepaar Strauß nimmt in Israel ihren Neffen Wolfgang Valk, den Sohn von Paula Valk, in ihre Familie auf. Dieser gründet eine eigene Familie, gehört als bekannter Violinist zum Israel Philharmonic Orchestra und verstirbt im Alter von 82 Jahren 2008 in Tel Aviv. Sein Sohn Amnon Vogel-Valk setzt die Tradition seines Vaters fort und ist ebenfalls ein bekannter Violinist im selben Orchester. Zur Familie Vogel-Valk, die mehrmals in Schmalkalden zu Besuch ist, hält das dortige Stadt- und Kreisarchiv Kontakt.
Daniel Strauß besucht nach dem zweiten Weltkrieg noch Rodach, wo sich auch die befreundete Familie Bräutigam mehrfach über eine Kiste Apfelsinen aus Haifa freuen kann.
Daniel Strauß verstirbt 1976, seine Frau Gertrud 1980. Beide sind auf dem Friedhof Helon in Tel Aviv begraben.
Daniel Strauß
Mein Mann und unser lieber Onkel
Geliebt warst du und gutherzig
Unterstützend und liebend
Die Erinnerung an dich wird uns bis in Ewigkeit
begleiten.
Gertrud Strauß
Unsere liebe Tante
die sorgenvolle Kümmerin und Hingebungsvolle
Du warst uns wie eine Mutter
Deine Erinnerung wird in Ewigkeit nicht aus unserem Herzen verblassen
Dank
Für die Informationen und Hilfestellungen zu diesen Stolpersteinen sind wir folgenden Personen und Einrichtungen dankbar:
Gaby Schuller aus Coburg, die am Anfang wichtige Hilfestellungen und Informationen zu den folgenden Recherchen gab
Sandra Gedig und Ute Simon vom Stadt- und Kreisarchiv Schmalkalden für die Informationen zur Familie Rosenthal und für den Kontakt zu den Nachfahren in Israel
Shlomit Taaseh vom Zentralen Zionistischen Archiv in Israel mit vielen Dokumenten zur Ankunft der Familie Strauß 1938 in Palästina
Helga Augustin aus Bad Rodach
Sabine Grassmuck von der Stadt Rodach
Manja Rabenau von der Stadtverwaltung Rudolstadt, Stadtarchiv und Historische Bibliothek
Ferner danken wir Herrn Pfarrer Rosenzweig, Bad Rodach, der mit Hilfe eines Freundes in Tel Aviv die hebräischen Grabsteininschriften ins Deutsche übersetzt hat.
Gerd Oelsner, November 2024